Montag, 21. Januar 2013


Es liegt ein Fluch über jeder unvernünftigen Bruderbeziehung, die auf die Ferne geführt wird. Ja, die unvernünftigen Bruderbeziehungen. Die vernünftigen ereilt der Fluch erst im hohen Alter. Vielleicht hat das ganze auch einfach nur damit zu tun, dass mein kleiner Bruder keinen Alkohol verträgt.
Braňo hat sich den Fuß gebrochen. Der arme kleine. Als ich seinen Brief letzte Woche erhielt, überkamen mich mit einem mal so viele gute Gedanken und der ganze Tag war erfüllt von Heiterkeit und Schäfchenwolken. 
Liebes Tagebuch, (oder wenn es denn irgendwann einen gibt, lieber Leser?), du magst dich vielleicht fragen, was mich dazu geführt haben mag, über eine so schmerzhafte Angelegenheit, wie einen gebrochenen Fuß und noch dazu den meines jüngeren Bruders, meine Freude zu verkünden. 
Nun, in jeder Familie gibt es zwischen Brüdern, den Gockel und die Glucke. Ich war zwar in den Augen meiner Mutter immer eine Ameise und mein Bruder eher ein Maikäfer, die Bezeichnung ist aber irrelevant. Es geht um die Eigenart. 
Die Glucke also - sie behütet und wird behütet. Von wem? Dem Gockel! Die Glucke weiß immer alles besser, würde es auch besser machen. Sie ist sich nur zu fein dafür. Sie lässt den Gockel die Arbeit machen. Dafür lässt sie ihn dann auch herumstolzieren. Und ist die Glucke eines Tages ausgeflogen um die weite Welt zu entdecken, ist sie mit solchen Dingen plötzlich auf sich allein gestellt. Der Gockel widerum hat niemanden mehr, den er behüten kann, und niemanden, der ihn berichtigt und den Hammer der Vernunft ohne Erbarmen auf seinen Kopf hernieder lässt. Deshalb verhilft er sich in den dunklen Momenten damit, sich an dem Versagen seiner besseren Hälfte so gut, wie es gelingen mag, zu ergötzen.
Nun, wer von uns beiden ist die Glucke, und wer der Gockel, lieber Bruder?
Ein dreifacher Bruch ist natürlich keine allzu schöne Sache. Ich gebe es zu. Aber es hat mir schon immer eine so große Freude gemacht ihn ein kleines bisschen leiden zu sehen, oder ihn in einen wirklich angsteinflößenden Wutanfall zu treiben.
Aber wie kann jemand, nur weil man auf seinem Fuß stand, nach hinten umfallen und sich Fuß und Bein brechen? Es ist mir ein Rätsel.
Zeit für die anatomische Weiterbildung. Doch zuerst der Schnee. Ohja, in den letzten Tagen ist sehr viel Schnee gefallen. Das Haus sieht auch nicht mehr allzu schlimm aus. Ich kann zumindest wieder durch die Fenster hindurchschauen und in der Küche etwas schmackhaftes zubereiten. Da es hier drin fast so kalt ist, wie draußen, wird selbst dem Ungeziefer Angst und Bange.
Morgen werde ich mich um neue Arbeit kümmern müssen, sonst stellt man mir wohl demnächst das Wasser und den Strom ab. Gott sei's gedankt, dass er Braňo in jener Nacht in dieses Spiellokal führte. So habe ich zumindest noch ein wenig Zeit meiner Erscheinung und diesem Haus einen neuen Anstrich zu geben.

Donnerstag, 3. Januar 2013

PF 2013! Vergangenes ist vergangen und das Neue ist im Begriff zu werden.
Ein halbes Jahr ist vergangen, seitdem ich in die Dienste des Zigeunerbarons Gabor eingetreten bin, seitdem er mich mit Kopien dieses Tagebuchs erpresst hat und mich gezwungen hat seine Drecksarbeit zu erledigen. Ein halbes Jahr, das in einem Rausch an mir vorbeizog, den ich nicht einmal eine Sekunde auskosten konnte, da mich Gabors Spiel meine gesamte Energie kostete. Ein Tag harte, niedere Arbeit, eine verbrannte Tagebuchseite der Kopien- das war unser Handel. Ich habe schlimme Dinge getan. Dinge ich bereue, Dinge, auf die ich stolz bin, Dinge die mich beinahe in den Wahnsinn trieben und die mich viel Zeit und Kraft, meine Gesundheit und beinahe meine Persönlichkeit kosteten. Ich schätze Gabor hat nicht damit gerechnet, dass ich diese Tortur durchstehe: Angefangen mit der Versorgung und Liebkosung seiner Schweine, die für mich noch alles andere als haarstreubend war. Ich danke meinem Vater dafür, dass er mir im Laufe meiner Erziehung solche Aufgaben nicht vorenthielt. Ein Schwein zu füttern, zu schlachten, auszunehmen - das sind Sachen, die ich von klein auf miterleben durfte. Doch das war nur der Anfang meines Martyriums. Es folgten viele niedere Aufgaben, die schwer gegen meine moralischen Grundsätze gingen, die letztendlich ihren Höhepunkt in einem weihnachtlichen Auftrag fanden, der fatale Folgen hinter sich herzog. Ich sollte dem Zigeunerbaron Emil, für seine miese Spionage an Gabor eine Lektion erteilen und ihm ein starkes halluzinogenes Mittel in den Wein schütten, das ihm so manch einen Albtraum bescheren sollte. Unglücklicherweise fand der Wein einen anderen Genießer: Emils Sohn, der die Wirkung des Mittels nicht kontrollieren konnte und in einem furchtbaren Rausch mit einer Pistole um sich schoss. Das Groteske? Dass unter vielen anderen Toten sein eigener Vater war.
Emil ist tot. Durch die Hand seines Sohnes, die wiederum von mir geführt wurde.
Der Schock saß tief in mir. Gabor - man glaube es kaum - war auch betroffen. Dies hatte er in seinem Spiel nicht bedacht. Kurz darauf erließ mir Gabor alle Kopien des Tagebuchs. Auch wenn Gabor ein hinterhältiger Bastard ist, er bleibt ein Ehrenmann und steht zu seinem Wort. Nach diesem Vorfall schloss Gabor mit dem Zigeunerclan Emils nach langer Zeit endlich Frieden. Ist dies das Ende, oder ein Anfang?
Ich habe lange Zeit über meine Tat nachgedacht, und die Beweggründe, die mich dazu geführt haben. Doch was wirklich passiert ist, wissen nur Gabor, Ich und Braňo. Wie oft hatte ich mir vorgenommen ihm zu schreiben. Und nun meldete ich mich bei ihm mit dieser Neuigkeit. Ich konnte ihm diese Tat nicht verheimlichen. Und es war mir auch ein Bedürfnis. Braňo kündigte daraufhin unkommentiert seinen Besuch an. Er will nächste Woche eintreffen.
Gabor hat mich für die nächste Zeit entlassen. Ich kehrte zurück in mein verwahrlostes Elternhaus und war lediglich froh, wieder zuhause zu sein. Eigenartig, wie sehr das Haus meinem Geisteszustand gleicht.

Habe das neue schneelose Jahr mit offenen Armen empfangen. Es kann nur besser werden. Und ich freue mich auf meinen Bruder.
Draußen ist es lau und ruhig. Zeit sich zu ordnen.